Eine Liebeserklärung

Oh Angkor, du Wunderschöne, du Unglaubliche, steinern Prächtige, wuchtig Elegante!
Du hast uns verzaubert mit
deinen mächtigen Tempeln,
deinem dichten Dschungel
und den uralten Geschichten, die deine Wände erzählen.

Wenn das erste Sonnenlicht des Tages auf deine magischen Türme fällt und sie sich scharf gegen den Himmel abzeichnen, dann kann dir nichts und niemand etwas anhaben.
Keiner der hundert Fotoapparate, mit denen die Besucher tagtäglich versuchen, deine Magie einzufangen.
Keine der schnatternden Chinesengruppen, die durch deine heiligen Hallen spazieren.
Und kein einziger der Millionen Besucher, von denen jeder irgendwann in Anbetracht deiner Herrlichkeit verstummt.

Du stehst hier schon so lange, dass sich die Bäume Teile von dir zurückerobert haben. Und selbst das macht dich nur noch schöner.
Du hast unsere Herzen und Köpfe vollständig erobert.

Ein TukTuk, 30 Kilometer und zwei Staublungen

„Nein!!! Nicht der Müllwagen“, G. reißt panisch die Augen auf und fixiert den großen LKW, der seine intensiv duftende Ladung nur notdürftig mit einem Laken abgedeckt hat. Doch alles Hoffen hilft nicht und wenige Sekunden später befinden wir uns direkt hinter dem Gefährt, das selbst unseren hartgesottenen Fahrer leicht grün im Gesicht werden lässt. Wir befinden uns auf dem Weg zu den Killing Fields, einer Art kambodschanischem KZ, in dem während des Regimes der Roten Khmer mehrere hunderttausenden Kambodschaner den Tod fanden. Doch momentan sind unsere Gedanken nur hier, auf dieser viel befahrenen Straße, die uns raus aus der Hauptstadt Phnom Penh in die Provinz bringt. Klar, wir fahren das mit Tuktuk, macht doch jeder. Und die Atemmasken, die der Fahrer uns geben wollte, lehnten wir natürlich freundlich lächelnd ab. Wir sind doch kein Weichei-Touris! Jetzt bereuen wir diese Wahl. Das Reden haben wir bereits vor einer Viertelstunde aufgegeben, zu groß ist die Anzahl an mehr oder weniger großen Staubkörnern, die uns dabei in den Mund fliegen. Rechts und links von der Straße befinden sich zahlreiche Geschäfte, scheinbar blüht der Einzelhandel in diesem Land. Reifen, Drähte, Lebensmittel, Hühnerkäfige, Apotheken (und vielen Zahnkliniken, das scheint ein echtes Ding für die Einheimischen zu sein)…alles kriegt man direkt auf dem Tuktuk angeboten. Dementsprechend umkurvt unser Fahrer geschickt die vielen Mopeds, die bis zum Rand und darüber hinaus mit allen möglichen Waren beladen sind. Dieser Gleichgewichtssinn kann von uns nur (stumm) bestaunt werden. Langsam wird die Luft immer dicker, die Müllkippen sind ganz ohne Frage an den Rand der Stadt verlagert worden. Wir werden von einem Taxi überholt, das ein Touristenpärchen befördert. Sie winken freundlich, wir können unseren Mittelfinger gerade noch im Zaum halten. Die können ja auch nichts dafür. „Wir müssen doch bald da sein“, mutmaßt S. Schön wärs, stattdessen fahren wir jetzt auf ein Stück Straße, das sich „Under Construction“ befindet. Durch den Monsun, der in den letzten Nächte gefühlt mehrere hundert Liter Regen auf den Boden geschüttet hat, sind die aufgegrabenen Ränder der Fahrbahn komplett verschlammt, dadurch kämpfen sich vereinzelte Mopeds. Unser Fahrer guckt prüfend nach anderen Fahrmöglichkeiten, unsere Hände klammern sich krampfhaft an die kleinen Haltegriffe. Doch nein, er entscheidet sich dagegen. Ob das die beste Entscheidung war? Nur wenige Meter später stecken wir fest, ein Baggerfahrer hat beschlossen, dass er jetzt erstmal gemächlich über die Straße muss. Wie gesagt, der Müllwagen steht immer noch vor uns. „Meine Haare fühlen sich an, als ob eine zentimeterdicke Staubschicht draufliegt“, stellt G. nüchtern fest. S. überlegt derweil, wie lange sie den Atem wohl noch anhalten kann, ohne ohnmächtig aus dem Tuktuk zu kippen. Gibt es eigentlich eine wissenschaftliche Theorie darüber, warum in unangenehmen Situationen die Zeit so viel langsamer zu vergehen scheint? Der Blick schweift nach links, ein Mann kämpft sich mit seiner halben Familie auf einem Moped durch den Schlamm. Die alte Frau schenkt uns ihr schönstes zahnloses Lächeln und als ob es ein gutes Omen ist, biegen wir kurz darauf endlich von der Hauptstraße ab.

Das siebte Ei

Wisst ihr noch, wie das damals war? Wenn man ein Überraschungsei in der Hand hielt und es erstmal kräftig geschüttelt hat, um schon mal eine Ahnung davon zu bekommen, ob vielleicht eine der begehrte Hartfiguren in der gelben Plastikhülle im Inneren versteckt war?
Durchgeschüttelt wurden wir auf jeden Fall, als wir uns im Bus auf den Weg von Saigon in die kambodschanische Hautpstadt Phnom Penh machten. Und das, was wir dann vorfanden, war noch schöner als die Hauptfigur der Hippos oder Disneyfiguren.

Die Stadt kann man mit einem Wort beschreiben: stilvoll. Denn das trifft es, ungeachtet von dem Schmutz in den Straßen, den unbefestigten Wegen und dem süßlich-scharfen Geruch nach Abfällen, der in der Mittagshitze durch die Gassen wabert. Die goldenen Dächer des Königpalasts und der zahlreichen Pagoden, die friedlich schlafenden Fahrer in den reich verzierten Tuktuks (Mopeds mit einer Art offenen Kabine als Anhänger), die breiten Boulevards und die kleinen Straßen, in denen das alltägliche Leben der Menschen tobt. Und die Einwohner dieser Millionenstadt, die nicht nur hervorragend Englisch sprechen, sondern jederzeit mit einem Lächeln im Gesicht das Gespräch suchen, ohne dahinter zwangsläufig ein Geschäft zu wittern. Phnom Penh hat unserer Herzen ganz zufällig erobert, mit seiner entspannten Lebensart und seinen vielen Restaurants, die die meiner Meinung nach gnadenlos unterschätze, weil unfassbar köstliche, Khmer-Küche servieren. Mit einer Geschichte, die wie die Deutsche von Schrecken, Willkür und unfassbaren Gräueltaten geprägt war und aus der trotz alledem ein Schlag Mensch entstanden ist, der freundlich, fröhlich und durchaus charmant ist. Es reicht, wenige Worte auf Khmer wie Danke schön und Hallo zu kennen und alle sind hin und weg. Aus Deutschland sind wir? Ahhh, Football, Champion, Champion. Das kennen sie hier alle. Ein Tuktuk-Fahrer nimmt die Antwort als Herausforderung an: „Do you know Hitler?“ – „Of course, do you know Pol Pot?“ Und schon ist man mitten auf der Straße in einem Gespräch über Diktatoren und schreckliche Vergangenheiten. Doch nicht nur damals, auch heute hat das Land noch massive Probleme: Armut, Korruption, Prostitution – die Liste der Dinge, über die die Einwohner sich beklagen könnten, ist lang. Und dennoch fühlten wir uns in den Straßen von Phnom Penh selbst bei Nacht sicher und erlebten Menschen, die mit Fleiß und Hartnäckigkeit versuchen, ihr Land in eine bessere Zukunft zu führen.
Die Hauptstadt des Königreichs ist unsere siebte Station und sie tatsächlich die schönste Überraschung, die wir uns vorstellen konnten.

Das Gefühl von Heimat

Wenn man reist, gibt man automatisch das natürliche Anrecht auf Gemütlichkeit auf. Immer unterwegs, den schweren Rucksack auf dem Rücken und das leicht nervöse Gefühl, alles dabei zu haben und bloß nix zu verlieren. Und wenn man ankommt, dann wartet nicht unbedingt ein schönes Sofa mit Fernseher, sondern gerne mal die eine oder andere unangenehme Überraschung. Verdreckte Bäder, Fenster, die so dünn sind, dass der LKW direkt über die zu harten Matratzen zu fahren scheint, und, und, und…Jeder Reisende könnte diese Liste wahrscheinlich beliebig verlängern.

Umso schöner ist es dann, wenn man ganz unvermittelt an einem Ort kommt, wo es sich einstellt: Das wunderbare Gefühl, zumindest für kurze Zeit angekommen zu sein und Ruhe zu finden. Die Plätze, an denen das passiert, können jede beliebige Form annehmen: Das Haus einer Gastfamilie, das Zelt an einem einsamen See, das Hostel, wo plötzlich lauter nette Leute sind, das Schlafwagenabteil im Zug oder das schöne Hotel, in dem sich alle rührend um einen kümmern. Meistens kommt es ganz überraschend, manchmal hat man darauf gehofft. Und fast immer ist es das wohltuende Gefühl der Erleichterung, weit weg von zu Hause einen Platz gefunden zu haben, der irgendwie die Esprit von Schlafanzügen, heißen Schokoladen und kuscheligen Sofadecken hat.

Vietnam – eine Bilanz

Wir sind zweieinhalb Wochen in diesem Land unterwegs gewesen und bevor wir morgen nach Kambodscha fahren, ist es Zeit für ein kurzes Fazit.
Das waren unsere Erwartungen: Ein wunderschönes, grünes Land mit Bergen, Buchten und Stränden. Leckeres Essen, eine reiche Geschichte und freundliche, hilfsbereite Menschen.

Das war unsere Realität:
Die Natur: Die Landschaft an sich ist wundervoll, es ist tatsächlich unheimlich grün und abwechslungsreich. Die Küstenregion rund um Hoi An wartet mit kilometerlangen Sandstränden und einem badewannenwarmen Meer auf, im Norden Richtung Sapa ragen die Berge bis zu 3000 Meter in die Höhe. Hier war es besonders faszinierend, dass bis zum Ende der Baumgrenze noch tropische Pflanzen und Palmen wachsen, im Unterschied zu den kahlen Nadelwäldern in den mitteleuropäischen Alpen.
Was das Paradies allerdings trübt, ist die Art und Weise wie die Menschen hier damit umgehen. Während in den Städten permanent gefegt und gewienert wird, achtet in der freien Natur kaum jemand auf den Umgang mit Abfall. Deswegen sind viele Orte (siehe Artikel zur Halong-Bucht Die Krux mit den Erwartungen) extrem dreckig.

Das Essen: Um ehrlich zu sein, möchte ich nach dieser Reise erstmal für längere Zeit kein Vietnamesisch essen. Ich hatte mir vorgenommen, auf Grund der Haltungsbedingungen in Asien kein Fleisch zu essen. In der vietnamesischen Küche ist das nicht unbedingt vorgesehen. Die besseren Restaurants haben zwar meistens eine kleine Auswahl an vegetarischen Gerichten, bei den Straßenimbissen oder in kleineren Lokalen ist es allerdings schwierig bis unmöglich. Ansonsten sind die Soßen, die Gewürze und die Art des Anrichtens (hier ist es beispielsweise üblich, kleine Garnelen ungeschält zu verzehren) schlicht und ergreifend nicht mein Geschmack. ABER: eine große Ausnahme bildet Hoi An. Die lokalen Spezialitäten sind unfassbar köstlich und es gibt auch viele fleischlose Angebote.

Geschichte: Die Geschichte der letzten 100 Jahre ist überall im Land mit Händen zu spüren. Auf der offiziellen Seite gibt es extrem viele Museen, die enorm viele Informationen bieten und noch dazu sehr billig sind. Daneben sind es vor allem die große Anzahl an Friedhöfen, Menschen mit amputierten Gliedmaßen auf den Straßen und das allgegenwärtige Bild von Ho Chi Minh, die klar machen, dass das Land eine geschundene Seele hat.
Doch nicht nur das Leid ist noch häufig zu sehen, es ist vor allem der Stolz, der offensichtlich ist. Während Saigon, das als Hauptstadt Südvietnams von US-amerikanischer Führung geprägt war, sehr kosmopolitisch auftritt und mit bekannten Ketten wie McDonalds etc. aufwartet, bietet die jetzige Hauptstadt Hanoi ein anderes Bild. Hier ist der Kommunismus viel lebendiger und westliche Einflüsse nur sehr gering sichtbar. Während die Innenstädte westlicher Großstädte immer mehr zum Einheitsbrei verkommen, ist es interessant zu sehen, dass es auch anders geht.

Die Menschen: Es hat uns sehr beschäftigt, wie wir die Menschen, die wir auf unserer Reise durch Vietnam erlebt haben, beschreiben sollen. Wir haben ziemlich schnell festgestellt, dass aus unserer subjektiven Sicht heraus eine Unterteilung getroffen werden muss. Zunächst unser genereller Eindruck: Die Menschen sind nicht besonders freundlich. Viele wollen einem etwas verkaufen und wenn man es nicht nimmt, werden sie durchaus richtig sauer. Es ist schwierig, Vertrauen zu schenken, weil es gut sein kann, dass man übers Ohr gehauen wird. Zumal die Verständigung sehr schwierig ist, da viele praktisch kein Englisch sprechen. Aus unserer Sicht von zwei jungen weiblichen Reisenden müssen wir auch sagen, dass wir uns in Gegenwart der meisten Männer recht unwohl gefühlt haben.
Und da wir schon bei Geschlechtern sind, komme ich gleich zu der Gruppe, die ich separat einschätzen möchte: die jungen Vietnamesinnen. Jede, die wir getroffen haben, war unfassbar freundlich, lustig, hilfsbereit und gebildet. Sich mit diesen Frauen auszutauschen war eine echte Bereicherung und ich glaube, dass ein Ruck durch Vietnam gehen wird, wenn sie erstmal in einflussreicheren Positionen sind.

Es ist natürlich klar, dass das alles nur unsere subjektiven Meinungen sind. Es ist zwar ehrlich, beansprucht aber natürlich nicht das Recht auf die absolute Wahrheit. Wir haben viele getroffen, die die Dinge anders sehen als wir und das ist gut so. Wir haben die Zeit in Vietnam trotz der Tatsache, dass manches anders war als erwartet, sehr genossen. Jetzt sind wir gespannt auf Kambodscha und Thailand!

Vom Genießen und Verweigern

Nudelsuppe! Das ist es! Ich liege seit zwanzig Minuten mit dem Kopf nach unten auf einer Art Sessel, der zu einer Massageliege umfunktioniert wurde und frage mich, was der durchdringende Geruch ist, der aus den Handtüchern strömt. Wir haben nach unseren verschiedenen Trips einen kurzen Stop in Vietnams Hauptstadt eingelegt und zwei Stunden Zeit, bis wir den Nachtzug nehmen. „Wir gehen jetzt mal in einen günstigen Massagesalon“, bestimmt G. resolut. Unsere bisherige Erfahrung beschränkt sich auf ein schickes Spa, das uns vom Hotel empfohlen wurde und das für vietnamesische Verhältnisse im oberen Preissegment liegt. „Hier kriegt man auch für wenig Geld exzellente Anwendungen“, mit diesen Worten aus G.s Mund betreten wir ein Hotel, das mit einem unschlagbaren Angebot wirbt: Für acht Euro kriegen wir eine 60-minütige Ganzkörpermassage.

Nur wenig später sind die angeforderten Masseurinnen (von wo die plötzlich herkamen? Keine Ahnung) da und es geht ab auf die Nudelsuppenliegen. Das warme Massageöl ist anfangs etwas zu heiß und mir entfährt ein erschrockenes Quieken, das die Damen zum Kichern bringt. Dann fängt sie an zu kneten und nach zehn Minuten habe ich das Gefühl, die Zeit vergeht im Schneckentempo. Lustlos, das beschreibt am ehesten, wie sie meinen Rücken behandelt. Ein kurzer Blick zu G., doch die scheint mit geschlossenen Augen zu genießen. Plötzlich ein Vibrieren direkt neben meinem Oberschenkel. Ist das etwa…? Ja, tatsächlich, es ist ihr Handy und die nächsten fünf Minuten beschränkt sich unser Körperkontakt auf meine linke Wade und ihre rechte Hand. Dabei plaudert sie fröhlich und scheint mit ihrer Konzentration irgendwo zu sein, aber sicherlich nicht in diesem engen, stickigen Raum. Kurz darauf erheben sich die beiden Masseurinnen und verschwinden, um warmes Wasser zu holen. Ich drehe mich zu G., die mich verzweifelt anstarrt. Das, was ich für Entspannung gehalten habe, scheint im Gegenteil pure Anspannung zu sein. „Ich möchte hier eigentlich nicht liegen“, sagt sie mit gequälter Stimme. „Die hat mir gerade 52 Mal die Kniekehle massiert, ich habe mitgezählt!“ Doch da sind die beiden schon wieder und der Spaß geht weiter. Ich bin mittlerweile über und über mit fettigen Aromaöl bedeckt, das sind gute Voraussetzungen für eine 14-stündige Zugfahrt. Als sie es sich oberhalb meines Kopfes bequem macht, kann ich gerade noch geistesgegenwärtig: „Not the face!“ sagen. Neben mir glänzt G.s Stirn bereits im Neonlicht. Sie war scheinbar nicht schnell genug. Oder sie hat jeglichen Widerstand aufgegeben, denn kurz darauf schwenkt mir auch noch ihr schneeweißer Oberkörper entgegen. Die kleine Vietnamesin sitzt auf ihrem Rücken und die Tänzerknochen knacken bedenklich. „I don’t want that!“, schreie ich panisch. Jetzt hat meine Masseurin aber auch keine Lust mehr, kurz entschlossen patscht sie mir noch ein paar Mal auf die Rückseite. „Finished.“ Ein herrliches Wort.

Magische Anziehungskraft

Wir hatten es überhaupt nicht geplant. Mehr noch, wir waren sogar fest davon überzeugt, dass wir es nicht tun würden. Überall wird Hoi An, die kleine Stadt an der zentralvietnamesischen Küste, als die Stadt der Schneider und Boutiquen angepriesen. Hier werden innerhalb von wenigen Tagen oder sogar Stunden maßgeschneiderte Kreationen gezaubert, für die man in Deutschland ein Vielfaches an Geld hinlegen würde. Soviel zu den Fakten. Doch wir wollten natürlich nur ein einziges Kleid machen lassen und zwar eines zum Verschenken.

Schneiderei Yaly in Hoi An

Es hat genau fünf Minuten gedauert, bis wir mit staunenden Augen auf den Sesseln inmitten der Schneiderei saßen und Prospekte wälzten, um uns die schönste Robe auszusuchen. G.s Gesicht hat eine äußerst angeregte rote Farbe angenommen und sie nimmt sich immerhin drei Sekunden Zeit, um ihren Blick von den bunten Seiten zu lösen: „Das ist ja ein Traumland“, haucht sie entzückt. Ich hingegen bin verstummt weil ich immer noch nicht fassen kann, wie sehr ich scheinbar ein herrliches Abendkleid benötige. Zumindest fühlt es sich genau in diesem Moment so an. Am Ende entscheiden wir uns für Kleider, die den royalen Outfits von Herzogin Kate ähneln (ja, drunter machen wirs nicht…). Bei den Damen im Verkauf löst das wohlwollende Anerkennung aus. „Das bestellen sich im Moment fast alle“, erklärt Mai Ling. Naja, was solls, wir sind zu selig, um uns darüber mehr Gedanken zu machen als nötig. Der Kate-Effekt hat uns halt auch erwischt.
Wir werden ein Stockwerk höher gebracht, in dem sich Stoffballen bis zu Decke stapeln. In meinem Kopf schwirrt es vor blauer, grüner und gelber Seide, die sich mit roten, dunkelbraunen und zartrosa Baumwollstoffen mischt.

Stoffe...Noch mehr Stoffe...

Zielsicher ziehen die Vietnamesinnen die Farbtöne heraus, die zu uns passen und dann nehmen sie in Windeseile unsere Maße. Noch drei Fotos, die Rechnung und die Terminansage für den kommenden Tag und wir stehen wieder auf der brütend heißen Straße vor dem Geschäft. Und weil es so schön und einfach ist, stimme ich ohne zu Zögern zu, als mir im nächsten Geschäft angeboten wird, das Kleid meiner Wahl in meiner Farbe und meinen Maßen anzufertigen. G. kann nur mit Mühe davon abgehalten werden, sich im Überschwang der Gefühle ein traditionelles vietnamesisches Seidenkleid anpassen zu lassen. Wir waren noch nicht einmal 24 Stunden in Hoi An und die lokale Schneiderindustrie hat uns sofort fest im Griff.

Kate1                                             Kate2

Die Krux mit den Erwartungen

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Das Fatale am permanenten Lesen von Reiseführern, Erfahrungsberichten und ähnlichen ist, dass sie einen dazu verleiten, Dinge im Vorfeld als gegeben anzusehen. Das trifft es vor allem im negativen Bereich, so dass viele Ziele mit schlechten Bewertungen gar nicht mehr angesteuert werden, obwohl sie vielleicht lohnenswert sind. In unserem Fall ist allerdings das Gegenteil der Fall: Ich habe keinen einzigen Artikel im Vorfeld gelesen, in dem die Halong-Bucht, das UNESCO-Weltnaturerbe, nicht als wunderschön, faszinierend und atemberaubend beschrieben wurde. Die Wirklichkeit vor Ort hat uns also noch härter getroffen, als es ohne die hoch geschürten Erwartungen der Fall gewesen ist.
Die Halong-Bucht ist in unseren Augen vor allem eins: unfassbar schmutzig. Es gibt kaum lebendes Wesen rund um die hohen Felsen, so dass bei einer Kajak-Tour der Blick einzig und allein an den vielen Plastikflaschen, den alten Schuhen und schaumig-braunen Wellen hängen bleibt. Die Möglichkeit zu Schwimmen lehnen danach alle Tourteilnehmer dankend ab, nur der Guide schmeißt sich fröhlich ins Wasser und krault eine Runde. Als wir abfuhren machte er sich grinsend auf die nächste Tour, er ist es also scheinbar gewöhnt.
Doch auch die Landschaft an sich war anders als erwartet. Die Farben der üppig bewachsenen Steinriesen, die überall in der Bucht verteilt sind, scheinen wie verblasst zu sein.Über allem liegt ein leichter Grauschleier, sogar das Meer hat das Blau des offenen Ozeans schnell gegen ein trübes Grün eingetauscht und das selbst bei strahlendem Sonnenschein.
Beim Besuch der schwimmenden Fischerdörfer hat die Bucht dann endgültig ihren Reiz verloren. Gelangweilte vietnamesische Fischer schippern die mit Hüten und Schwimmwesten aufgemotzte Touristen durch ihr Wohngebiet, das aus einigen wenigen Hütten besteht. Die Perlen- und Fischfarmen werden von dünnen Hunden bewacht, die in kleinen Käfigen ein elendes Dasein zu fristen scheinen. Die Perlenfarm, die in einem edlen Geschäft Perlenketten für über 600 Euro verkauft, ist so fehl am Platz wie es nur irgendwie möglich ist.

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Und doch bot der Ausflug in die Halong-Bucht auch einen Moment, in dem der Zauber dieser Landschaft plötzlich sichtbar wurde. Wenn die Sonne untergeht und die Felsen in ein versöhnliches, goldenes Licht taucht, die Dämmerung den Schmutz im Meer verbirgt und die zahlreichen Grillen auf den Steinen ihr abendliches Konzert anstimmen: Dann passten unsere Erwartungen plötzlich doch zu dem, was wir sahen.

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Eine Fahrt nach Sapa, die ist lustig

Reisende: G. und S. Bebenroth
Strecke: Von Hanoi nach Sapa, eine ehemalige französische Bergstation im Norden Vietnams

18:45: Start aus der Altstadt von Hanoi. Wir nehmen gemeinsam mit einem neuseeländischen Pärchen ein Taxi, die bereits vor einigen Tagen mit dem Zug nach Sapa fuhren. Wie auch der Lonely Planet beschwören sie uns, dass wir nicht zum Haupteingang des Bahnhofs müssen, sondern zu einer Extrawartehalle.

19:00 Ankunft am Bahnhof. Der Taxifahrer will uns alle aus dem Wagen haben, wir versuchen ihm zu vermitteln, dass wir doch aber nach Sapa müssen. Er schreit: „Sapa, Sapa!“ und gestikuliert wild Richtung Bahnhofshalle. Die Neuseeländerin fühlt sich veräppelt und beginnt ihrerseits zu schreien: „No! We know where they have to go.“ Wir stehen mit betretenen Gesichtern daneben und zerren schließlich unsere Rucksäcke aus dem Kofferraum.

19:05 Nachdem uns ein vietnamesischer Ordner ebenfalls versichert hat, dass wir uns in der richtigen Halle befinden, betreten wir den überfüllten Warteraum. Nach kurzer Beratung steuern wir auf zwei kompetent aussehende Vietnamesinnen in blauen Kleidern zu, die offensichtlich eine offizielle Funktion haben. Kurz bevor wir sie erreichen, nähert sich von rechts ein hagerer Vietnamese, der in einem Hollywoodstreifen ohne Probleme die Rolle des zwielichten Bösewichts einnehmen könnte. Mit seinen langen Fingernägeln fordert er nachdrücklich: „Ticket!“ OK, hier sind die Tickets. Er schubst uns zu einem kleinen Tresen, auf dem das Wort Livitrans steht. Immerhin die Gesellschaft, die unsere Tickets ausgestellt hat, kann also nicht ganz falsch sein. Ein anderer Wartender nimmt freundlicherweise seine nackten Füße von den Sitzen und wir lassen uns nieder.

19:15
S: „Soll ich nicht lieber nochmal andere Touristen fragen? Ich traue dem Frieden nicht.“ Mit G.s Zustimmung schleiche ich mich an zwei Engländerinnen heran, doch leider haben die ein ganz anderes Ziel. Dann: Auftritt Engel von Sapa. Khan, eine gebürtige Vietnamesin, die jedoch in den USA aufgewachsen ist, nimmt sich unserer an. Wir sollen einfach sitzen bleiben, sie fährt ebenfalls nach Sapa und sagt uns Bescheid, wenn es los geht.

19:45
Ein geheimes vietnamesisches Signal muss erfolgt sein, denn plötzlich springen Khan und ihre Freundin auf; der Zug ist da. Wir folgen ihr auf den Bahnsteig, als der gruselige Fingernagelmann kommt und abermals unsere Tickets sehen will. Er wirft einen Blick drauf und schreit uns aus voller Kehle auf Vietnamesisch an. Wir starren ihn wiederum mit schreckgeweiteten Augen an, als plötzlich wieder unsere Neuseeländerin vor uns steht. „Is everything alright?“ Naja, nicht so richtig. Es stellt sich schließlich raus, dass wir nur Gutscheine für den Zug haben, unsere richtigen Tickets aber noch holen müssen. Wir tapern zurück in die Wartehalle, der Umtausch klappt dann doch recht flott.

19:55
Wir marschieren Richtung Zug. S: „Bei unserem Glück heute teilen wir das Abteil mit zwei schnarchenden vietnamesischen Männern.“ Wir betreten den Zug und G. wirft einen Blick in das Abteil: „Das glaubst du jetzt nicht.“ Zwei grinsende Vietnamesen sitzen auf den unteren Betten, unser hysterischer Lachanfall ist nur noch ein paar Zehntelsekunden entfernt.

20:20
Der Zug fährt ab. „whejrjkw akdaa joyu formg?“ Ähm, excuse me? „EHrjh are doau from?“ Ah, Germany. Naja, damit können sie nicht so wirklich was anfangen, deswegen bleibt es bei diesem kurzen Informationsaustausch.

21:00
Zeit, unsere Vorurteile zu begraben. Wir verstehen unsere Mitreisenden zwar nicht, aber sie sind sehr ruhig und auch wenn einer von ihnen die erste Stunde nur telefoniert, reicht ein kurzes Fingerschnipsen, um ihn erst senkrecht im Abteil stehen zu lassen, dann aber für ein Abschalten des Telefons zu sorgen

06:00 nächster Tag
Die Nacht war überraschend erholsam. Bei der Ankunft am Bahnhof von Sapa empfängt uns die lokale Bevölkerung mit offenen Armen. „Minibus? Sapa? Minibus, Minibus?“ Hatte die US-Vietnamesin nicht gesagt, wir sollen nicht mit den Minibussen fahren, weil die zu teuer sind? Wir marschieren über den Bahnsteig, da steht sie plötzlich: „Follow me.“ Nichts lieber als das, wir ignorieren die zahlreichen Angebote (mittlerweile sind auch noch Bananen und Getränke hinzugekommen) und folgen Khan wie zwei Lämmchen ihrem Mutterschaf.

06:30
Wir sitzen in einem der gelben Busse, die von der Regierung betrieben werden, die Rucksäcke sind verstaut, jetzt kann es losgehen.

06:35
In der fünften Kurve kommt Leben in die Frau links neben mir. „HUAHAHAHHGGGGGG“ Wir haben selten jemanden so laut und mit Inbrunst kotzen sehen (und hören). G. (fassungslos): „Das glaube ich jetzt nicht.“

06:40
Kurve Nummer 10: Direkt hinter G. raschelt eine Tüte, dann ein wohlvertrautes Geräusch: „HUAHAHAHGGGGGGG“ Die nächste Vietnamesin, die wohl ein paar Probleme mit dem Autofahren hat. S. muss sich konzentrieren, um nicht allzu solidarisch zu werden.

07:00
Ausgestattet mit Ohropax und Decken vor der Nase, besteht die größte Angst darin, dass sich eine der zahlreichen Tüten öffnet, die die Ladies mittlerweile angesammelt haben.
S.: „Die können doch mittlerweile nichts mehr in sich haben.“

07:01
Sie belehren uns eines Besseren. „HUAHHHHAGGGGGGG“, „HUAAAAAHHHHHGGGG“. Wir schrauben uns im Kanon der Kotzigkeit immer weiter den Berg hinauf.

07:30
Ankunft in Sapa. Ekel und Müdigkeit sind eine schwierige Kombination, aber auf uns wartet noch eine schöne Überraschung. Auf dem Weg von der Bustür zum hinteren Kofferraum sind wir plötzlich von mindestens zwanzig Einheimischen umgeben. Ein paar preisen ihre Hotels an, doch der Großteil besteht aus Hmong-Frauen in der typisch schwarz-bunten Kluft der in Sapa heimischen ethnischen Minderheit. Fröhlich halten sie uns bestickte Täschchen und Ketten unter die Nase. „Shopping? Shopping?“ Oh ja, klar. Nichts lieber als das. Wir ziehen uns noch kurz unsere schweren Rücksäcke auf, dann macht es gleich noch viel mehr Spaß.

07:32
Wir verfallen wieder in unseren Lämmermodus und folgen Khan in ihr Hotel. Gemütliche Polsterbänke, kompakte Holztische und ein sauberes Doppelzimmer für nur 20 Dollar pro Nacht. Gott sei Dank (der Ausruf passt tatsächlich, denn Khan ist, wie sich später herausstellt, Missionarin). Jetzt aber: Hallo Sapa!

 

Der Kampf ist weiblich

Wild und stark sieht sie aus in ihrer grünen Uniform, die Haare zu zwei festen Zöpfen geflochten und ihr Blick, der nichts Zartes an sich hat, geht direkt in die Kamera. Über 300 feindliche Soldaten starben während des Vietnamkrieges durch die Hand von Generälin Nguyen, deren Bild jetzt im Frauenmuseum mitten in Hanoi hängt. „Vietnam wird auch das ‚Land der Frauen‘ genannt“, erklärt die junge Touristenführerin Hang. „Während und nach dem Krieg wurden viele von ihnen zu nationalen Helden erklärt, die nicht nur militärisch sondern auch humanitär enorm viel geleistet haben.“ Mit 22 Jahren gehört die Vietnamesin zu der Generation, die mit den Legenden dieser Kriegsheldinnen aufwuchsen. Ihre zierliche Figur und ihre leise Stimme lassen anderes vermuten, doch wenn sie anfängt, von den Rechten der Frauen in ihrem Land zu erzählen, wird schnell klar: Starker Willen hat nichts mit der körperlichen Präsenz zu tun. „Der Krieg hat die Rolle der Frauen verändert – doch nicht genug. Wir haben zwar eine Vizepräsidentin, aber immer noch haben Vietnamesinnen schlechtere Jobs und Bezahlung als ihre Männer“, erklärt Hang, die an der Hanoier Universität Tourismus studiert. In ihrer Freizeit bietet sie Touristen unentgeltliche Touren durch ihre Stadt an, um ihnen die vietnamesische Kultur und Geschichte zu zeigen. Dabei ist das Frauenmuseum im Botschaftsviertel ihr liebstes Ziel: „Für mich ist es eines der schönsten und wichtigsten Museen in Vietnam, vielleicht sogar in ganz Asien.“ Besucher können neben den Kriegsheldinnen auch die modischen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts und die Stellung der Frau in den ethnischen Minderheiten betrachten. „Eine der größten Volksgruppen sind die Hmong. Hier müssen die Frauen noch heute Angst haben, dass sie von potenziellen Ehemännern entführt werden. Sie sind dann gezwungen, ein paar Tage in seinem Haus verbringen und danach können sie entscheiden, ob sie ihn zum Mann nehmen,“ erklärt Hang. Obwohl es sich so anhört, dass die Frauen in diesem Fall die Wahl haben, sieht sie es nicht so: „Der gesellschaftliche Druck auf Frauen ihrer Stellung als Ehefrau und Mutter gerecht zu werden, ist in ganz Vietnam recht groß. Doch bei den Minderheiten ist es oft noch viel stärker und die wenigsten trauen sich, einen solchen Antrag abzulehnen.“ Sie selbst gehört zu den Viet, die den größten Bevölkerungsanteil in Vietnam bilden. Während die Praxis der Zwangsverheiratung in ihrer Kultur in den letzten Jahren verschwunden ist, sieht Hang noch immer großen Handlungsbedarf. „Gerade in den ländlichen Gebieten ist häusliche Gewalt an der Tagesordnung. Die meisten männlichen Vietnamesen trinken gerne und viel Alkohol, das hat oft unschöne Folgen. Und unser System bietet Frauen zu wenig Möglichkeiten, sich dagegen zu schützen.“
Neben Generälin Nguyen hängt unter anderem ein weiteres Foto, das eine sehr junge Frau mit kindlichen Gesichtszügen zeigt. Sie hat mit 14 Jahren begonnen, für die Freiheit ihres Landes zu kämpfen und wurde kurz vor ihrem 18. Geburtstag exekutiert. Hang guckt nachdenklich auf das Gesicht der kleinen Kriegerin: „Frauen haben hier mindestens ebenso viel für unsere Freiheit geleistet wie die Männer. Warum sollten wir jetzt aufhören zu kämpfen?“

Nach dem Vietnamkrieg verlieh die Regierung jenen Frauen, die ihre Kinder in den Kämpfen verloren hatten, den Titel "Heroische Mütter von Vietnam"

Nach dem Vietnamkrieg verlieh die Regierung jenen Frauen, die ihre Kinder in den Kämpfen verloren hatten, den Titel „Heroische Mütter von Vietnam“