Leben mit Pferden

Diego ist ein Gaucho. Ein echter, genau wie auf den vielen Bildern, die in ganz Argentinien die Seele dieses Landes abbilden. Er ist klein, spricht nicht viel und seine Zähne sind dunkel vom Kauen der Kokablätter. Wobei die ohnehin nicht allzu oft zu sehen sind, denn Lächeln gehört nicht zwangsläufig zu den alltäglichen Gewohnheiten des Gauchos. Wenn man ihm auf der Straße begegnet, könnte man ihn gut und gerne für einen leicht grummeligen Nordargentinier halten, mit den für die Region so typischen rot geränderten Augen.
Aber all diese oberflächlichen Eindrücke verblassen, sobald Diego auf einem Pferd sitzt. Seine Art und Weise mit den Tieren umzugehen ist so beeindruckend, dass man die Augen kaum abwenden kann. Er scheint nicht auf dem Rücken des Pferdes zu sitzen, sondern vielmehr darin. Winzige Bewegungen, ein kurzes Schnalzen mit der Zunge und Gewichtsverlagerungen prägen die Kommunikation der beiden und das System funktioniert ohne Einschränkungen. Mit den deutschen Vorstellungen von Dressur haben die Gauchos ungefähr so viel gemein wie Lionel Messi mit Manuel Neuer. Alles wirkt natürlicher, rauher und trotzdem nicht weniger perfekt. Es ist faszinierend, wenn Diego auf ein Pferd steigt, dann wird aus einem Gras fressenden und gemütlich dahintrottenden Gaul in Sekundenschnelle ein feuriges Ross.

Auch wenn viele der Gauchos durchaus verheiratet oder zumindest liiert sind, die meiste Zeit ihres Lebens verbringen sie mit den Pferden. Jeder von ihnen reitet seit Kindesbeinen, in den meisten Fällen wird der Beruf vom Vater oder Großvater auf die nächste Generation weitergegeben. Zwar sind die meisten Gauchos männlich, es gibt aber auch einige wenige Gauchas.
Die klassische Tätigkeit der argentinischen Cowboys ist die Arbeit mit den riesigen Rinderherden in der Pampa. Allerdings können sie ihr Geld mittlerweile auch auf andere Art und Weise verdienen, indem sie beispielsweise Touristengruppen betreuen oder sich von einem Polospieler anstellen lassen.
Es gibt übrigens dann doch eine totsichere Methode, einen Gaucho zum Lächeln zu bringen. Gegen Komplimente und Bewunderung sind nämlich auch die männlichsten unter ihnen nicht gewappnet…

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W wie Wind

Neuseelands Natur ist eine Sexbombe. Von allem viel, in allem üppig, nicht allzu groß aber mit perfekten Rundungen. Dagegen ist Patagonien ein Supermodel. Lang, schlank, an vielen Stellen eher karg, manchmal fast ein wenig abweisend, aber gleichzeitig nicht weniger wunderschön. Die gewaltige Natur im Süden Argentiniens und Chiles lässt sich im Torres del Paine Nationalpark relativ unkompliziert erlaufen. Es gibt verschiedene Routen, die durch den Park führen, einige davon dauern mehr als zehn Tage. Doch auch in drei bis vier Tagen, auf dem so genannten W-Trek (heißt so, weil man von oben betrachtet die Forn eines Ws abläuft), locken unglaubliche Panoramen, Gipfel, Seen und vor allem sehr viel Wind.
Wir starten von Osten nach Westen und haben dadurch gleich das erste Highlight am Ankunftstag. Vier Stunden wandern über steinige Wege, durch sattgrüne Wälder, entlang an einem reißenden Bergfluss und schließlich die letzten sechzig Minuten über ein steiles Geröllfeld, dann stehen sie plötzlich vor uns: Die Torres, Namensgeber des Parks und imposant anzusehen mit ihren schroffen, fast senkrechten Wänden.Der höchste der drei Felszacken ist knapp 2900 Meter hoch und von einer arroganten Schönheit, weder freundlich noch einladend und absolut beeindruckend. Schon hier gibt der patagonische Wind einen Vorgeschmack auf seine Kraft, Splitter und Sand fliegen durch die Luft und sorgen für allgemeines Husten und Augenreiben. Während der Nacht auf dem Campingplatz Las Torres zieht die Geschwindigkeit weiter an. Glücklicherweise fliegt uns das Zelt aber erst um halb neun komplett um die Ohren und da ist ja ohnehin Zeit zum Aufstehen. Der zweite Tag ist im Gegensatz zum vorigen fast schon erholsam, knapp fünf Stunden lang laufen wir bei herrlichstem Sonnenschein am Ufer des riesigen Lago Nordernskjöld entlang. Immer wieder müssen wir dabei den Gauchos auf ihren wendigen Pferden Platz machen, die im Park Vorräte und anderes von A nach B bringen. Auf den schmalen und felsigen Wegen sind sie meistens im Galopp unterwegs, dabei kichern und gurgeln sie die ganze Zeit und sehen überhaupt außerordentlich zufrieden aus. Nach zwei Dritteln der Strecke erheben sich vor uns die Los Cuernos, drei mächtige Bergspitzen, deren untere Hälfte ganz hell und der Rest beinahe schwarz ist. Mit ihnen zur Rechten und dem hellblauen See, der auf der anderen Seite von sanften, grünen Hügel gesäumt wird, zur Linken, stolpern wir bis zum Campingplatz. Eher falle ich hin, als meinen Blick von dieser spektakulären Szenerie zu lösen. Was dabei auch auffällt: Der See schlägt immer mehr Wellen, weiter westlich scheint der Wind noch stärker zu sein als ohnehin schon. Auf dem Platz bestätigt sich dieser Eindruck. Die Rezeption scheint kurz vor dem Auseinanderfallen, die Windstärke beträgt laut der gelassenen Mitarbeiterin mittlerweile fast 100 Stundenkilometer. Die Fenster wackeln, vor der Tür wanken vereinzelte Backpacker durch den Sturm. Wir werden zu unserem Zeltplatz gelotst, J. verliert jegliche Fassung: „Wie soll das denn funktionieren?“ Statt auf dem Boden sollen die schützenden Hüllen hier auf Holzplattformen stehen, zur Verankerung dienen einzelne Haken. Nach einer Stunde, zwei Nervenzusammenbrüchen, einem Lachanfall und viele Ohrfeigen durch Zeltplanen, Schnüre und Äste steht das gute Teil dann. Beim Abendessen platzt in der Küche ein Fenster durch den Wind, meine Sitznachbarin muss daraufhin ihre Brille aufsetzen, um kleine Glassplitter aus ihrem Dessert zu fischen.
Am nächsten Tag soll der Weg uns in den mittleren W-Strich führen, allerdings machen Wind, Regen und Nebel einen Strich durch die Rechnung, das Valle Frances ist gesperrt. Deswegen geht es direkt weiter Richtung Refugio Paine Grande und dabei durch jenen Teil des Parks, in dem vor einigen Jahren heftige Brände wüteten. Es sieht bizarr aus, die grau-schwarzen kahlen Bäume inmitten von bunten Frühlingsblumen, Bächen und Wiesen. Der Teil der Strecke ist abgesehen von den Brandnarben durch sanfte Landschaften geprägt, wir laufen Hügel rauf und runter, über Holzstege durch Morast und Sümpfe und durch kleine Wäldchen. Nach sechs Stunden Marsch im Regen sind wir zwar durchtränkt, aber vollkommen erfüllt von der Schönheit, die uns umgibt.
Der nächste und letzte Tag beinhaltet dann noch ein weiteres Highlight. Durch ein schmales Tal und über steinige Wege nähern wir uns dem Grey Gletscher. Einzelne Eisberge in den Seen unterhalb des Weges kündigen schon weit vorher von dem gewaltigen Eisriesen. Als wir die letzte Kuppe überschreiten, liegt er plötzlich vor uns. Und auch, wenn ich schon andere Gletscher gesehen habe, die Größe des Greys überrumpelt mich vollkommen. Das ewige Eis scheint bis zum Horizont und weiter zu reichen, eine weiße Wüste, unwirklich, atemberaubend. Der Wind pfeift hier mit reißender Geschwindigkeit und trägt die Gletscherkälte mit sich. Die Augen tränen, die Haare wehen, Nasen und Finger werden steif, aber wir können uns raum rühren, so andächtig betrachten wir dieses Naturwunder im südlichen Zipfel des amerikanischen Kontinents. W wie Wind, W wie Wildnis, W wie Wunderschön.