Heiße Quellen und schicke Roben – Niseko II

Von wegen, japanisches Essen macht schlank! Ungläubig starre ich auf die Anzeige der Waage und stelle mich zur Sicherheit gleich nochmal drauf. Doch, die Zahl bleibt. Drei Wochen ununterbrochenes Graben im Schnee, das permanente Tragen der schweren Ausrüstung für unser „Hidden Mountain Project“ und Fertigessen haben Spuren hinterlassen. Ein japanisches Spa, der so genannte Onsen, ist normalerweise ein Ort der Entspannung. Doch jetzt gerade fühle ich mich etwas gestresst.

Dabei soll der heutige Tag eine Abwechslung von unserem hektischen Projektalltag sein. Wir haben ausnahmsweise frei und nutzen die Zeit für einen Ausflug zu Hokkaidos bekanntesten heißen Quellen in Noboribetsu.

Auf dem Weg stoppen wir in einem kleinen Restaurant fürs Mittagessen. Erste Beobachtung: Hier darf man rauchen und das wird auch genutzt. An der Bar sitzen ausschließlich Männer, in der einen Hand eine Zigarette und in der anderen ein Heft. Eine Wand des Lokals besteht komplett aus Bücherregalen voller Comics und Pornohefte. Scheinbar ist es eine ganz gewöhnliche Mittagspause, für ein Kippchen und ein Heftchen in ein Restaurant zu gehen. Ganz still, wohlgemerkt. Unterhalten wird sich kaum und wenn, dann praktisch im Flüsterton.

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Wir fahren weiter und erreichen schließlich das Hell Valley, eine Marslandschaft aus kargen Bergen und dunkelgrauen Bächen. Der Geruch von Schwefel ist überwältigend. Ich versuche mich darauf konzentrieren, dass das nunmal die Art ist, wie Mutter Erde riecht, aber es klappt nicht. Ich kann nur noch durch den Mund atmen, sonst muss ich leider brechen. Schön ist es trotzdem, auf eine außerirdische Art und Weise.

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Im Hotel ist es nach drei Wochen in westlich geprägten Ferienwohnungen endlich Zeit für etwas mehr Tradition. Wir kriegen einen halb japanisch, halb westlichen Raum zugeteilt. Das bedeutet, dass die eine Hälfte aus zwei normalen Betten und die anderen Hälfte aus Bastmatten mit einem nicht mal kniehohen Tisch besteht. Ich fühle mich gleich so japanisch, dass ich mich in einer Teezeremonie versuche. Scheinbar mache ich allerdings alles falsch, der Tee landet überall, nur nicht in meiner Tasse und schmeckt auch recht dünn. Egal, die Kulturerkundung geht weiter, jetzt ist es Zeit für den Onsen.

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Ich schlüpfe in den bereitgestellten Kimono und mache mich auf den Weg. In japanischen Onsen herrscht strikte Geschlechtertrennung, es gibt alles doppelt, sowohl für Frauen als für Männer. (Der neuseeländischen Prüderie, die ich in den drei Wochen hier mit Erstaunen festgestellt habe, kommt das sehr gelegen. Meine Erzählung, dass wir in Deutschland meistens gemischte Saunen haben, trifft auf Ungläubigkeit: „Was? Gemischt? Du meinst, Männer und Frauen sind gemeinsam nackt?“ – „Ja.“ – „Habt ihr auch Sex in der Sauna?“ – „Klar, die ganze Zeit. Natürlich nicht!“)

Zum Onsen geht es durch einen Flur, der auf einer Seite von bodentiefen Fenstern begrenzt ist. Draußen fällt der Schnee auf die nackten Bäume, drinnen begleitet mich traditionelle japanische Musik zu dem ersten Raum.  Hier lege ich meine Robe und meine kleinen Lederslipper in einen der bereitgestellten Körbe. Danach folgt der bereits erwähnte Stressmoment auf der Waage, doch ich tröste mich mit dem Gedanken, dass man sich im Wasser ja immer zehn Prozent leichter fühlt.  Ich betrete den zweiten, größeren Raum und beginne die Prozedur, indem ich mich mit warmem Wasser aus einer Schüssel übergieße. Das soll den Körper aufwärmen und Schmutz abspülen, damit das Onsenwasser nicht verdreckt. Lustigerweise erfolgt sowohl das als auch das Duschen danach im Sitzen. Jede Waschzelle ist mit einem kleinen Plastikhocker ausgestattet und scheinbar verstößt es gegen die Etikette, beim Duschen davon aufzustehen. Irgendwie unpraktisch, aber dennoch gemütlich. Dann geht es in das heiße, knietiefe Becken. Das Schwefelwasser ist 42 Grad warm und fühlt sich an wie Seide auf der Haut. Der Geruch erinnert mich zwar nach wie vor an faule Eier, aber nicht mehr ganz so stark. Neben dem Wasserbecken gibt es auch eine Saune, die wie so vieles hier in Japan automatisch funktioniert. Als ich mich auf die Bank lege, fängt leise Musik an zu spielen und die Sanduhr hätte ich gar nicht gebraucht. In dem Moment, in dem das letzte Korn durchfällt, stoppt die Musik und eine freundliche Frauenstimme aus dem Lautsprecher empfiehlt mir, die Sauna jetzt zu verlassen.

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Zum Abendessen tauschen wir unsere Baderoben gegen Alltagsklamotten ein. Ein fataler Fehler, wie sich beim Betreten des Restaurants herausstellt. Wir sind nicht nur die einzigen Nicht-Asiaten, wir sind auch die einzigen, die offensichtlich nicht begriffen haben, dass die Robe fester Bestandteil des Hotelaufenthalts ist. Alle sehen gleich aus, weiße Robe, blaue Jacke und hellbraune Slipper. Aber die Japaner werden ihrem Ruf, ein höfliches Volk zu sein, mehr als gerecht. Unser Fauxpas wird mit einem freundlichen Nicken einfach ignoriert.

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„Hidden Mountain Project“ – Niseko I

„Wir brauchen noch einen SecondHand-Motor, einen alten Fernseher und fünf Schaufeln.“ Während Heath das fehlende Equipment aufzählt, lasse ich meinen Blick schweifen. Um mich herum ist es weiß. Bäume, Hügel, Flüsse: Alles ist von einer meterdicken Schneeschicht bedeckt. Hier in Niseko, zweinhalb Stunden von Sapporo entfernt, schneit es in den Wintermonaten so viel wie nirgendwo sonst auf der Welt. Un die sibirische Kälte sorgt dafür, dass all dieser Schnee leicht wie Puderzucker ist. Was unser Unterfangen nicht unbedingt leichter macht. Denn: Wir bauen ein Schneedorf.

Ein Jahr nachdem ich jeden Tag in ein Büro mit Ausblick auf die Bahnschienen gefahren bin, stehe ich im japanischen Nirgendwo und buddele im Schnee. Nach viel Klinkenputzen in Neuseeland habe ich schließlich einen Kameramann gefunden, der mit mir arbeiten will und mich in seine Kunst unterweist. Und eben dieser Kameramann wurde für ein Projekt angefragt, das den Bau einer Ansammlung von Iglus mit diversen Extras beinhaltet. Wochenlanges Betteln hat geholfen, jetzt stehe ich neben ihm und sehe die Sonne hinter den Hügeln verschwinden, die so viel niedriger sind als in den europäischen Skigebieten. Mit von der Partie sind neben dem Kameramann und mir noch ein weiterer Kameramann, ein Fotograf und zwei Profisnowboarder aus Neuseeland.

Unser Tagesablauf variiert nur unwesentlich. Wir steigen in Niseko in die Autos, fahren geraume Zeit zu einem Parkplatz irgendwo im Nirgendwo, schlüpfen in die Schneeschuhe und stapfen bis zu dem Ort, an dem das „hiddenmountainproject“ stattfindet. Bei gutem Wetter filmen wir die Athleten bei ihren Tricks, bei schlechtem Wetter wird gebaut. Das Tempo, mit dem das Ganze vonstatten geht, verblüfft mich unendlich. Am ersten Tag standen wir auf diesem Hügel und um uns herum nichts als zwei Meter hoher Schnee. Jetzt, nur 72 Stunden später verfügen wir über ein gut ausgebautes Iglu mit Getränketheke für japanischen Whiskey, einen Balkon und eine prachtvolle Sprungschanze.

Die Ideen für die kommenden Wochen werden dabei immer großspuriger: Von einem fünfzig Meter langen Tunnel ist die Rede, ebenso wie von einem Hindernisparcours durch das gesamte Tal. Außerdem sollen wir Skulpturen aus Eis schnitzen und ganze Nächte auf dem eisigen Berg verbringen. Vieles davon kann ich mir absolut nicht vorstellen, aber scheinbar fehlt mir einfach die Fantasie, bzw. das Selbstvertrauen.

Fazit nach Tag 4 von 28: Auch der irrsinnigste Plan lässt sich in die Tat umsetzen. Scheinbar ist tatsächlich nichts unmöglich, wenn man überzeugend genug auftritt. Und: Schnee graben ist die die einzige Möglichkeit, bei minus elf Grad warme Hände zu bekommen.

Ein saugendes Lamm, zwei blutende Wunden und eine unverhoffte Bootsfahrt

Die Felgen meines klapprigen Subaru scheppern gewaltig, als wir in die Straße unseres Zielorts einbiegen. Seit gut fünf Kilometern bewegen wir uns auf einer unbefestigten Straße, auf der entgegenkommende Fahrzeuge so viel Staub aufwirbeln, dass man für die nächsten zehn Sekunden gar nichts mehr sieht. Gott sei Dank kennen die heimischen Vögel und Hasen das Problem und bringen sich rechtzeitig in Sicherheit. Ich bin gemeinsam mit L. auf dem Weg zu seinem Reisepartner V., der bei einer neuseeländischen Familie Kost und Logis erhält und im Gegenzug Wände streicht, Unkraut jätet und die Kinder bespaßt. Der Grund unseres Besuchs: Ein fünf Wochen altes Lamm, das von seiner Mutter verstoßen wurde und seitdem von der Familie mit der Flasche aufgezogen wird.

Ankunft am Zielort. Ein kleines Farmhaus inmitten eines riesigen Grundstücks, an dessen Ende nur noch Felder und weiter hinten die hohen, schneebedeckten Berge Otagos zu sehen sind. Stattliche Bäume stehen am Rand des Gartens, unter einem grast ein wohlgenährtes Pony. L. hat dafür allerdings keinen Blick übrig, denn seine nackten Füße (ganz im Kiwi-Style) haben eines der anwesenden Hühner erstmal zu einem fröhlichen Angriff verleitet. Während er versucht, sich in Sicherheit zu bringen und dem Huhn deutsche Schimpfwörter an den Kopf wirft, vernehme ich aus der Ferne schon ein zartes „Määääh“. V. schaltet die Elektrik aus und wir krabbeln durch den Zaun in den Schafspaddock. Wir werden argwöhnisch von den anderen Schafen begutachtet. Ein Mutterschaf mit zwei wolligen und schon etwas älteren Lämmern und zwei weitere, die ich in meiner Unkenntnis als alt bezeichnen würde, die Wolle hängt doch schon recht löchrig und filzig nach unten. Das zarte Määäh von eben ist durchdringender geworden und wir schlüpfen in das Extragehege, das sich das Lämmchen mit einem stattlichen Hahn und zwei Hennen teilt. Der Niedlichkeitsfaktor eines Lamms, das der Überzeugung ist, dass jeder Mensch Milch mitbringen muss und einen dementsprechend anstubst, ansaugt und beschnuppert, ist kaum zu übertreffen. Ich schmelze dahin, während L. mit seiner nächsten Wunde kämpft: Das Babyschaf hat seine kaum vorhandenen Milchzähne geschickt eingesetzt und jetzt blutet sein Finger. Die Niedlichkeit hat allerdings auch ihn fest im Griff, auf Beschimpfungen verzichtet er dieses Mal.

Als das Lamm feststellt, dass wir kein Essen bringen und uns dementsprechend langweilig findet, verlassen wir die Farm und machen uns auf den Weg in Richtung Lake Hawea. Die Gastfamilie veranstaltet dort ein Barbecue und typisch neuseeländisch sind wir sofort eingeladen. Bei unserer Ankunft sind wir umringt von einem kläffenden, schreienden, anschmiegsamen, lachenden Pulk aus Kindern und Hunden. Wir sind ein bisschen spät dran, deswegen werden uns die restlichen Würstchen ganz einfach in die Hand gedrückt und nur ein paar Momente später stehen wir direkt am Ufer des glasklaren, an diesem Abend völlig glatten Sees. Kaum hat er sein Essen verspeist, wird V. in einem unfreiwilligen Wet-TShirt-Contest verwickelt, während L. seine Handstandkünste teilt und ich für meinen Elefantenpullover bewundert werde. Weder die Kinder, noch die Hunde, noch die Eltern scheinen irgendwelche Berührungsängste zu kennen. Während wir die erste Übernachtungseinladung erhalten, werde ich in das Fischerboot des Sohnes manövriert und gleite mit einem Mal ganz und gar unverhofft im Sonnenuntergang in Richtung Berge. Plötzlich ist es ganz still. Das Ufer ist nicht weit entfernt, trotzdem dringt kein anderes Geräusch zu uns als das Plätschern des Wassers und ab und zu das Platschen eines fetten Fisches, der aus dem Wasser nach Mücken schnappt. Friedlich.

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Ohne die Sonne ist es empfindlich kühl, deswegen wird nach unserer Rückkehr ans Ufer das Boot im Van verstaut und wir fahren alle gemeinsam zurück zum Farmhaus. Die Kinder freuen sich so dermaßen über die Gäste, dass wir eine Vorstellung auf dem Trampolin bekommen und die kleine Tochter ungefähr hundert Räder und FlicFlacs durch den Garten schlägt. Platz genug hat sie dafür allemal. Schließlich wandern wir alle gemeinsam noch einmal zu dem Schafspaddock. Der Sohn trägt auf dem Arm eines der beiden Kaninchen, im Schlepptau haben wir außerdem die zwei Hunde und das angriffslustige Huhn, das L. genauestens im Auge behält. Während ich mich wieder in Schmuseposition begebe, setzt er das Kaninchen ab, das sich sofort auf Erkundungstour durch den Paddock begibt. Das wiederum finden die andere Tiere so lustig, dass sich uns ein herrliches Bild bietet: Im Dämmerlicht der neuseeländischen Frühlingsnacht verfolgen fünf aufgeregte Schafe, zwei Hunde, ein Huhn und ein kleiner Junge im Schlafanzug ein weißes Kaninchen. Ich möchte diesen Moment gerne einfrieren und mir für immer bewahren.

Was macht man in Kassel eigentlich im Sommer?

  1. Im Bergpark die Füße im Morgentau baden: Wasserspiele, Open-Air-Konzerte, Laternentouren – Der Bergpark bietet viel und ist bei schönem Wetter auch das Ziel von ganz vielen. Was ich im Sommer deswegen besonders schön finde: Kurz vor Sonnenaufgang vom Schloss loslaufen, mit nackten Füßen immer weiter nach oben bis hin zum Beginn der Kaskaden oder sogar noch weiter. Auf dem Weg sind die Bewohner des Park unterwegs, die man sonst selten sieht, Rehe, Hasen und Waschbären. Oben am Herkules den Blick über die Stadt in der Morgensonne schweifen lassen: Herrlich…

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    Foto by Janik Viereck (Hier geht’s zu seinem Foto-Blog)

  2. Im Chacal ein kleines bisschen Festivalstimmung spüren: Seit im vergangenen Jahr die Promenade in der Goethestraße eröffnet wurde, gibt es im vorderen Westen einen neuen Hotspot. Das Chacal, eigentlich eine kleine, gemütliche Kneipe, wird in lauen Sommernächten der Place to be. Auf der neu gestalteten Sitzgruppe mit den leuchtenden Bodenplatten, auf den Bänken unter den Bäumen oder einfach auf der Steintreppe: Überall sitzen Menschen, Jung und Alt, Familien, Pärchen, Freunde. Wer allein kommt, findet fast immer jemanden, den man kennt und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm, denn zu gucken gibt es genug. Aus der Kneipe kann man Gläser mit nach draußen bringen, aber auch mitgebrachte Getränke sind an der Tagesordnung. Damit am Ende alles sauber bleibt, ist selbstständiges Aufräumen natürlich Pflicht…
  3. Brunchen wie die New Yorker: Der gemeine Kasseler frühstückt am Wochenende gerne außerhalb der eigenen vier Wände. Da die Auswahl an passenden Cafés der Zahl der Besucher dabei allerdings nicht gerecht wird, ist das spontan kaum möglich. Im Sommer entzerrt sich das Ganze immerhin ein bisschen durch das größere Platzangebot. Und was gibt es Schöneres, als den Sonntag mit Sonne im Gesicht und einem Kaffee in der Hand zu beginnen? Dabei ist für jeden Geschmack etwas dabei: Hipsterfrühstück im Rokkeberg, ganz mondän im Schlosshotel, den vielen Studenten angemessen große Portionen im Café Nordpol, Büffet im Denkmahl und Café Lange oder schlicht und ergreifend gut im Café Westend.
  4. Der Stadt den Rücken kehren: In direkter Nähe zum Tierpark Sababurg durch einen uralten Wald schlendern und dabei ab und zu die Wölfe heulen hören, am Twistesee am Wasserskilift mit Speed übers Wasser rauschen, im Schlosspark Wilhelmsthal lustwandeln und den Reifrock förmlich an den Waden spüren: Allein diese Liste könnte man beliebig lange weiterführen. Kassels Umland ist schön, grün, hügelig und immer einen Ausflug wert, wenn die Stadt im Sommer zu heiß ist.

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    Foto by Janik Viereck (Hier geht’s zu seinem Foto-Blog)

  5. Auf der Terrasse der Grimmwelt die Sonne verschwinden sehen: Jakob und Wilhelm Grimm verdankt die Stadt Kassel nicht nur eine ausgefeilte Marketingkampagne, sondern auch den neuen Stern am Museumshimmel, die Grimm-Welt. Innen bietet der große Komplex interessante und ungewöhnliche Einblicke in das Leben und das Werk der Brüder. Außen lockt die Dachterrasse seit ihrer Eröffnung Touristen und Einheimische gleichermaßen. An einem lauen Sommerabend mit einem kühlen Getränk den Blick von Osten nach Westen schweifen lassen, mit der Aue zur Linke und dem Weinberg direkt unter einem: da ist Kassel tatsächlich ein richtig schöner Ort zum Sein.
  6. Eine Nacht mit Friedrich E. und Werner H. verbringen: Wenn die Sonne langsam untergeht, gehen die Lichter in den Erdgeschossen der Frierich-Ebert-Straße an. Kassels Kneipenmeile beginnt an der Kreuzung mit der Goethestraße und zieht sich bis in die Innenstadt. Ein Bier im Hot Legs, in Joe’s Garage oder in der Bar vom Club 22. Hier könnte man direkt hängen bleiben und zu späterer Stunde auf dem Dancefloor im Keller schwofen. Man kann aber auch weiter ziehen, einen längeren Stopp in der Bar Seibert für eine herrliche Cocktailkreation einlegen (hier ist Kassel richtig mondän, sowohl die Drinks als auch die Einrichtung haben regelrechten Großstadtcharakter) und schließlich noch auf einen sauren Hausschnaps ins Fez einkehren. Wenn er offen hat, ist das Soda der nächstgelegene Club, ansonsten geht es über den Berg in Richtung Hauptbahnhof. Hier ein kurzer Moment zum traurigen Innehalten: Das Unten musste zu Sommeranfang schließen und das obwohl die alten Gleisanlagen gerad in warmen Sommernächte ein besonderer Anlaufpunkt waren. Stattdessen gibt es jetzt nur noch einen Weg und auch wenn der immer noch nach unten führt, geht es eben nicht mehr ins Unten. Stattdessen ins Partygewimmel des größten Bar- und Clubkomplexes, Arm und Lolita-Bar. Hier ist immer irgendwas los und wer keine Lust hat nach Hause zu gehen, findet zu später Stunde bestimmt noch neue Freunde…
  7. Die Stadt vom Wasser aus betrachten: Kassel dreht dem stadteigenen Fluss eigentlich eher den Rücken zu. Die Fulda fließt mehr oder weniger unbeachtet im Osten der Stadt und selbst bei heißen Sommertemperaturen liegt kaum jemand am Ufer. Was auch daran liegt, dass es dazu gar nicht so viele Möglichkeiten gibt, weil sich im Stadtgebiet ein Bootshaus an das andere reiht. Aber es gibt jetzt eine neue Möglichkeit, sich die Fulda zu eigen zu machen: Stehend drüber paddeln. Hier geht’s zum SUP-Erfahrungsbericht.

 

Die Zeit danach. Oder dazwischen?

Das Problem nach einer Reise um die Welt ist: Es ist nicht mehr so wie davor. Ich bin wieder zu Hause und das schon seit zwölf Wochen. Die kaum zu ertragende Sehnsucht nach dem ständig-Neuen, das Vermissen der Reisepartner, die Unlust, nur noch Deutsch zu sprechen – all das ist weniger geworden. Ich habe mich wieder eingewöhnt, ich wohne wieder in derselben Wohnung wie vorher, fahre wieder dasselbe Auto und treffe meine alten Freunde. Alles Dinge, die ich extrem schätze und die ich brauche. Und doch sind diese Handlungen unterlegt mit einem neuen Gefühl. Es ist diffus und ich finde keinen Begriff, der zu hundert Prozent darauf passt. Es ist das Sehnen nach Freiheit, die Suche nach dem puren Ich, der Wunsch nach dem Unbekannten, dem intensiven Gefühl. Mein Geist will nicht akzeptieren, dass diese Art Glück nur temporär gewesen sein soll. Und es lässt mich nicht los, es treibt mich um, lässt mich schlecht schlafen.

Ich sitze in einem Büro und fühle einen übermächtigen Fluchtinstinkt in mir aufsteigen. Einfach weglaufen, alles zurücklassen, um zu finden, was mir fehlt. Ja, es ist irgendwie armselig und vielleicht ein Luxusproblem. Da gehe ich auf Reisen, sehe die Welt und bin mit nichts mehr zufrieden, wenn ich zurück komme? Ich habe mich nie für jemanden gehalten, dem so etwas passiert. Aber das Gefühl ist da und Glück lässt sich nicht einreden. Ich kann klar sehen, wie unfair es jenen vorkommen muss, die hier geblieben sind. Aber auch das ändert nur mein Verhalten und nicht das, was in meinem Herzen vor sich geht.

Es ist, als ob sich im Inneren etwas verschoben hat und ich keine Möglichkeit habe, das wieder rückgängig zu machen. Von dem Risiko hat mir niemand erzählt und ich glaube, das kennt auch keiner, der es nicht erlebt hat. Es gibt Reisen, von denen man nicht mehr ganz zurückkommt.

Hoch zu Ross in Mittelerde

Ich beuge mich tief über den Pferdehals und Tränen laufen mir über die Wangen, weil der kalte Wind mir ins Gesicht pfeift. Ich bin auf einer Mission, ich spüre es genau! Irgendwas mit einem Ring und kleinen Hobbits, die ich retten muss. Ich bin euphorisch, mein Pferd ist es nicht. Gerade als ich mir einbilde, dass meine Haare dunkel und fettig und mein Name in Wahrheit Aragorn ist, buckelt es zweimal heftig und bringt mich so auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich verliere den Halt und beide Steigbügel, hänge sehr unelegant im Sattel und muss meine beiden Gefährten, die jetzt auch wieder viel mehr wie Iona und Hanna und nicht mehr wie Gimli und Legolas aussehen, mit hysterischen Stop-Rufen anhalten. Naja, gut, jetzt ist es vorbei, das wäre Aragorn mit Sicherheit nie passiert.

Wirklich schlimm ist das allerdings nicht, denn im Schritt lässt sich die Landschaft ohnehin mehr genießen. Vom winzigen Städtchen Glenorchy aus, das rund 45 Minuten oberhalb des neuseeländischen Abenteuermekkas Queenstown liegt, sind wir hoch zu Ross in Richtung Mittelerde gestartet.
So heißt die Landschaft natürlich nicht wirklich, aber nach fast zwanzig Jahren als Drehort für alle Herr der Ringe- und Hobbit-Teile lassen sich Realität und Fiktion nicht mehr ganz klar voneinander trennen. Die Umgebung wirkt merkwürdig vertraut, so oft hat man sie schon gesehen, die rostig rot und grün gefärbten Berge, die im Licht der Sonne plötzlich ocker- und senffarben wirken. Die meisten Gipfel sind schneebedeckt und immer wieder von den dichten Wolken eingehüllt, die Regisseur Peter Jackson bewogen haben, sie zu Tolkiens‘ Misty Mountains zu machen. Am Fuße der Berge wechseln sich breite, von Gletschern geformte Flussbetten mit dichten, uralten Wäldern ab. Alles wirkt wie auf einer perfekten Postkarte und auch wenn im Film viele Landschaften am Computer verändert hat, für die Natur an sich brauchte es sicher keinen Photoshop.
Die ersten drei Stunden am Tag folgen wir den Spuren von Sarumans Armee, danach bestaunen wir die Kampfplätze der drei Ringe-Filme. Die Guides der Dart Stables, die die themenbezogenen Ausritte anbieten, können dabei mit einigen lustigen Fakten aufwarten. So waren die Orks, die im ersten Teil der Trilogie in der Sterbeszene von Boromir den Berg runterrennen, keine Schauspieler, sondern zehn Rugbyspieler aus Queenstown. Jackson steckte sie in dicke Kostüme und befahl ihnen, den Berg so schnell wie möglich runter zu rennen. Da die meisten von ihnen schon nach kürzester Zeit hinfielen und sich dabei die ein oder andere Verletzung zuzogen, ist die Szene im Film aus lauter kleinen Einzelteilen zusammengeschnitten.
Wirklich beeindruckt hat die neuseeländischen Pferdemädchen allerdings nur einer: Viggo Mortensen ist hier auch Jahre nachdem der letzte Herr der Ringe-Film abgedreht wurde noch in aller Munde. Die Szene, in der Aragorn von seinem Pferd Brego gerettet wird, wäre beinahe nicht gedreht worden. Denn bei den ersten Proben mit dem Dummy setzte sich das Pferd einfach auf die Puppe drauf und schien sich nicht mehr vom Fleck bewegen zu wollen. Als Jackson den Dreh daraufhin abbrechen wollte, legte sich der für seine Pferdeliebe bekannte Schauspieler drei Nächte lang in die Bregos Box und so konnte die Szene am Ende doch noch geshootet werden. So viel Hingabe für die Vierbeiner ist in Neuseeland ein Liebesgarant.

Kauft, kauft, kauft!

Bangkok. Der Name dieser Stadt wird immer wieder pseudopoetisch als Stadt der Engel bezeichnet. Für mich persönlich trifft Stadt des Konsums die Verhältnisse vor Ort besser. Hier wird überall verkauft und gekauft: Im Zentrum in den riesigen Shoppingmalls, auf den Straßen an unzähligen Ständen und im Rotlichtbezirk…naja, da eigentlich überall. Die Thais kaufen gerne, weil sie es können. Anders als in Kambodscha oder Vietnam sind insbesondere die Einwohner der Hauptstadt finanziell besser aufgestellt und das genießen sie in vollen Zügen. Neben dieser Lust am Kaufen gibt es noch andere Dinge, die mir an der Stadt und ihren Bewohnern aufgefallen sind. Hier ein paar Beispiele:

– Die Taxifahrer kennen ihre eigene Stadt nicht wirklich und sind teilweise schon bei Zielen direkt um die Ecke komplett überfordert

– Beim Fahren mit dem Skytrain drängt sich folgender Eindruck auf: Die Einwohner dieser Stadt sind in der großen Mehrheit extrem gepflegt, sehr modebewusst und jünger als 35

– Überall läuft Werbung, an den Hauswänden, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und an den Haltestellen
Neben ihrer Landesküche essen die Thais am allerliebsten Japanisch

– Thailand synchronisiert Filme zum Teil selbst. Es wird dabei nicht allzu sehr darauf geachtet, dass die Stimmen zum Original passen; 50Cent klingt wie Barbie

– Bangkoks innerstes Zentrum besteht aus ineinander übergehende Shoppingzentren. Dort spielt sich alles ab: Die Schüler treffen sich zum Nachhilfeunterricht, Familien gehen abends essen, auf den Vorplätzen spielen Bands und Pärchen treffen sich zum Date fürs Kino oder in einem der unzähligen Cafés

– Die von vielen Backpackern hochgelobte Khao San Road hat mit dem restlichen Bangkok wenig gemein. Wer besoffene und zugedröhnte Touristen, billige Ramschklamotten, aufgespießte und gegrillte Miniskorpione sowie jede Menge junge Thaidamen mit einem älteren Westler am Arm sehen möchte, ist hier allerdings richtig.

– Es fahren hier unfassbar viele Autos. Ein Australier, der vor einigen Jahren hier gelebt hat, erzählt, dass es durch den Skytrain und die Metro besser geworden ist. Dennoch kann es in der Rush Hour passieren, dass man für drei Kilometer Strecke rund zwei Stunden Zeit einplanen muss.

– Der durchschnittliche Thai spricht schlechter Englisch als der durchschnittliche Kambodschaner. Allerdings besser als der durchschnittliche Vietnamese.

Magische Anziehungskraft

Wir hatten es überhaupt nicht geplant. Mehr noch, wir waren sogar fest davon überzeugt, dass wir es nicht tun würden. Überall wird Hoi An, die kleine Stadt an der zentralvietnamesischen Küste, als die Stadt der Schneider und Boutiquen angepriesen. Hier werden innerhalb von wenigen Tagen oder sogar Stunden maßgeschneiderte Kreationen gezaubert, für die man in Deutschland ein Vielfaches an Geld hinlegen würde. Soviel zu den Fakten. Doch wir wollten natürlich nur ein einziges Kleid machen lassen und zwar eines zum Verschenken.

Schneiderei Yaly in Hoi An

Es hat genau fünf Minuten gedauert, bis wir mit staunenden Augen auf den Sesseln inmitten der Schneiderei saßen und Prospekte wälzten, um uns die schönste Robe auszusuchen. G.s Gesicht hat eine äußerst angeregte rote Farbe angenommen und sie nimmt sich immerhin drei Sekunden Zeit, um ihren Blick von den bunten Seiten zu lösen: „Das ist ja ein Traumland“, haucht sie entzückt. Ich hingegen bin verstummt weil ich immer noch nicht fassen kann, wie sehr ich scheinbar ein herrliches Abendkleid benötige. Zumindest fühlt es sich genau in diesem Moment so an. Am Ende entscheiden wir uns für Kleider, die den royalen Outfits von Herzogin Kate ähneln (ja, drunter machen wirs nicht…). Bei den Damen im Verkauf löst das wohlwollende Anerkennung aus. „Das bestellen sich im Moment fast alle“, erklärt Mai Ling. Naja, was solls, wir sind zu selig, um uns darüber mehr Gedanken zu machen als nötig. Der Kate-Effekt hat uns halt auch erwischt.
Wir werden ein Stockwerk höher gebracht, in dem sich Stoffballen bis zu Decke stapeln. In meinem Kopf schwirrt es vor blauer, grüner und gelber Seide, die sich mit roten, dunkelbraunen und zartrosa Baumwollstoffen mischt.

Stoffe...Noch mehr Stoffe...

Zielsicher ziehen die Vietnamesinnen die Farbtöne heraus, die zu uns passen und dann nehmen sie in Windeseile unsere Maße. Noch drei Fotos, die Rechnung und die Terminansage für den kommenden Tag und wir stehen wieder auf der brütend heißen Straße vor dem Geschäft. Und weil es so schön und einfach ist, stimme ich ohne zu Zögern zu, als mir im nächsten Geschäft angeboten wird, das Kleid meiner Wahl in meiner Farbe und meinen Maßen anzufertigen. G. kann nur mit Mühe davon abgehalten werden, sich im Überschwang der Gefühle ein traditionelles vietnamesisches Seidenkleid anpassen zu lassen. Wir waren noch nicht einmal 24 Stunden in Hoi An und die lokale Schneiderindustrie hat uns sofort fest im Griff.

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