Die Krux mit den Erwartungen

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Das Fatale am permanenten Lesen von Reiseführern, Erfahrungsberichten und ähnlichen ist, dass sie einen dazu verleiten, Dinge im Vorfeld als gegeben anzusehen. Das trifft es vor allem im negativen Bereich, so dass viele Ziele mit schlechten Bewertungen gar nicht mehr angesteuert werden, obwohl sie vielleicht lohnenswert sind. In unserem Fall ist allerdings das Gegenteil der Fall: Ich habe keinen einzigen Artikel im Vorfeld gelesen, in dem die Halong-Bucht, das UNESCO-Weltnaturerbe, nicht als wunderschön, faszinierend und atemberaubend beschrieben wurde. Die Wirklichkeit vor Ort hat uns also noch härter getroffen, als es ohne die hoch geschürten Erwartungen der Fall gewesen ist.
Die Halong-Bucht ist in unseren Augen vor allem eins: unfassbar schmutzig. Es gibt kaum lebendes Wesen rund um die hohen Felsen, so dass bei einer Kajak-Tour der Blick einzig und allein an den vielen Plastikflaschen, den alten Schuhen und schaumig-braunen Wellen hängen bleibt. Die Möglichkeit zu Schwimmen lehnen danach alle Tourteilnehmer dankend ab, nur der Guide schmeißt sich fröhlich ins Wasser und krault eine Runde. Als wir abfuhren machte er sich grinsend auf die nächste Tour, er ist es also scheinbar gewöhnt.
Doch auch die Landschaft an sich war anders als erwartet. Die Farben der üppig bewachsenen Steinriesen, die überall in der Bucht verteilt sind, scheinen wie verblasst zu sein.Über allem liegt ein leichter Grauschleier, sogar das Meer hat das Blau des offenen Ozeans schnell gegen ein trübes Grün eingetauscht und das selbst bei strahlendem Sonnenschein.
Beim Besuch der schwimmenden Fischerdörfer hat die Bucht dann endgültig ihren Reiz verloren. Gelangweilte vietnamesische Fischer schippern die mit Hüten und Schwimmwesten aufgemotzte Touristen durch ihr Wohngebiet, das aus einigen wenigen Hütten besteht. Die Perlen- und Fischfarmen werden von dünnen Hunden bewacht, die in kleinen Käfigen ein elendes Dasein zu fristen scheinen. Die Perlenfarm, die in einem edlen Geschäft Perlenketten für über 600 Euro verkauft, ist so fehl am Platz wie es nur irgendwie möglich ist.

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Und doch bot der Ausflug in die Halong-Bucht auch einen Moment, in dem der Zauber dieser Landschaft plötzlich sichtbar wurde. Wenn die Sonne untergeht und die Felsen in ein versöhnliches, goldenes Licht taucht, die Dämmerung den Schmutz im Meer verbirgt und die zahlreichen Grillen auf den Steinen ihr abendliches Konzert anstimmen: Dann passten unsere Erwartungen plötzlich doch zu dem, was wir sahen.

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