Wann immer ich auf meiner Reise durch Neuseeland anderen Leute, egal ob Kiwi oder Ausländer, erzählt habe, dass ich nach Christchurch fahren möchte, war die Reaktion dieselbe: „Ach, da gibt es doch nichts zu sehen“, „Zwei Stunden sind mehr als genug“, „Eine reizlose Stadt, viel zu groß“. Ich habe tatsächlich niemanden getroffen, der eine Lanze für die größte Stadt auf der Südinsel brechen wollte, deren Zentrum vor dreieinhalb Jahren durch ein Erdbeben fast vollständig zerstört wurde.
Aber manchmal ist es ja so: Ohne Erwartungen gibt es die größten Überraschungen. Klar, Christchurch ist kaputt, zerstört und es gibt keine wirklichen Sehenswürdigkeiten mehr. Aber dafür bietet die Stadt ein Flair, dass vollkommen ungewöhnlich ist. Das Motto der Aufbauarbeiten heißt „Rebuilding the Future“ und das trifft es ziemlich genau. Der Innenstadtbereich wird wieder aufgebaut und auch wenn vieles reproduziert wird, entstehen daneben vollkommen neue Dinge. Die Stadt hat nicht vor zu vergessen, was passiert ist. Überall zwischen den Baustellen finden sich Erinnerungsstücke und Gedenkstätten, die allerdings eher zum aktiven Erleben als zum stillen Bestaunen einladen. Die Menschen hier ehren das Gedenken an jene, die bei dem Unglück ums Leben kamen und trotzdem schaffen sie es, die Atmosphäre in Christchurch quicklebendig zu kreieren. An dem Platz, wo früher ein großes Einkaufszentrum stand, befindet sich heute die Re:Start Mall. Eine Ansammlung von Containern, in denen kreative Kunst- und Klamottengeschäfte ihren Platz finden, gepaart mit Cafés, Delikatessenläden und einer Dekoration aus Girlanden mit dem bunten Imageflyer von Christchurch. Hier ist es alternativ, aber auf die denkbar entspannteste Art und Weise. Es ist fröhlich, aber nicht übertrieben. Es ähnelt nichts, was ich bisher gesehen habe und vermittelt ein Gefühl, das zumindest mich zum Bleiben anstachelt.
Vor Ort teilt meine Ansichten beileibe nicht jeder. Im Hostel spreche ich mit R., einem Reisenden aus Deutschland (wohlgemerkt, er schläft zwar ganz alternativ im Van, läuft aber nur mit teuren Designerklamotten herum, Segelschuhe eingeschlossen). „Pff, bei uns hätte man die Stadt längst wieder aufgebaut. Das Beben ist schließlich Jahre her.“ Mal abgesehen davon, dass ich das bezweifele: Wäre das überhaupt die richtige Strategie? Das Beben hat der Stadt ihre Seele genommen und das durch den reinen Überbau der Ruinen zu ignorieren, würde nicht in dieses Land passen. Die nackten, kahlen Korpusse liefern eine eindrucksvolle Definition des Begriffs NaturGewalt und zeigen, wie fragil die Sicherheit sein kann, in der wir uns wiegen.
Ich habe noch nie ein Erdbeben erlebt und kann mir nicht vorstellen, wie die ganze Erde an einer einzigen Stelle so beben kann, dass alles auseinander fällt. Wahrscheinlich konnten das die meisten Einwohner von Christchurch bis zum 22.02.2011 ebenfalls nicht. Aber sie haben eine bewundernswerte Art und Weise gefunden, mit den Folgen der Katastrophe umzugehen.